Handelsblatt Nr. 159 vom 18.08.08 Seite 11

Netzagentur fordert Geld zurück

Chefregulierer Kurth will nach dem Urteil gegen Vattenfall auch von anderen Netzbetreibern überhöhte Erlöse nachträglich abschöpfen

JÜRGEN FLAUGER | DÜSSELDORF Das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) im Streit um die Netzentgelte dürfte für die Versorger teuer werden: Nach dem Erfolg im Verfahren gegen Vattenfall wird die Bundesnetzagentur auch an Hunderte andere Stromunternehmen millionenschwere Rückforderungen stellen.

Das Urteil wirke sich auch auf die anderen Netzbetreiber aus, für die die Behörde zuständig sei, sagte eine Sprecherin. Die Bundesnetzagentur wird deshalb von allen Unternehmen zu hohe Erlöse zurückverlangen. Dabei geht es um Einnahmen, die sie kassierten, nachdem die Regulierung zwar schon begonnen hatte, die Netzbetreiber aber noch auf ihren ersten Bescheid warteten. Das Volumen dürfte substanziell sein und könnte sich auf einen Milliarden-Betrag summieren.

Betroffen ist der Zeitraum Ende 2005 bis Frühjahr 2007. Damals hatte die Bundesnetzagentur zum ersten Mal die Kosten geprüft, die Netzbetreiber Konkurrenten und ihren eigenen Vertriebsgesellschaften für die Nutzung der Leitungen in Rechnung stellen. Die Unternehmen mussten hierzu im November 2005 ihre Anträge einreichen.

Die neue Behörde benötigte damals allerdings lange. Den ersten Bescheid verschickte sie Anfang Juni 2006 an Vattenfall, die letzten Schreiben gingen erst im zweiten Quartal 2007 raus. Nach Auffassung von Behördenchef Matthias Kurth, der die Anträge im Schnitt um 13 Prozent kürzen ließ, sollten die Bescheide zwar rückwirkend ab Antragsstellung gelten. Nachdem das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) nach einer Klage Vattenfalls dies für unzulässig erklärt hatte, mussten die Netzbetreiber die umstrittenen Erlöse aber zunächst nicht bezahlen.

Der Bundesgerichtshof gab jetzt jedoch der Regulierungsbehörde recht. Die Richter urteilten am vergangenen Donnerstag grundsätzlich über den Bescheid, mit dem der Antrag von Vattenfall im Sommer 2006 um 18 Prozent gekürzt worden war.

Mit einigen Ausnahmen billigten die obersten Richter dabei das Vorgehen der Wettbewerbshüter. Im Prinzip hatte dies auch schon das Düsseldorfer OLG getan, woraufhin Vattenfall seine Entgelte bereits damals verringerte.

Sprengstoff birgt aber die Tatsache, dass der BGH das OLG im Streit um die
Mehrerlöse in der Übergangszeit vor Zugang des Bescheids korrigierte.

Allein Vattenfall muss in der nächsten Regulierungsrunde deshalb einen Abschlag von 50 Mill. Euro verkraften.

Und die Bundesnetzagentur pocht jetzt darauf, dass sie sich auch in allen anderen Bescheiden vorbehalten hat, die
Mehrerlöse aus der Übergangszeit wieder abzuschöpfen.

Das Gesamtvolumen wollte die Sprecherin zwar nicht beziffern. Das es bedeutend sein wird, lässt sich aber mit einem Blick auf die Bilanz der ersten Genehmigungsrunde abschätzen. Die Bundesnetzagentur erkannte damals in den Kalkulationen der Unternehmen immerhin 2,4 Mrd. Euro weniger an Kosten an als behauptet.

Von den betroffenen 256 Netzbetreibern erhielten über zwei Drittel ihren Bescheid erst im Frühjahr 2007, nachdem schon mehr als die Hälfte der bis Ende 2007 laufenden ersten Periode vorüber gewesen war. In Branchenkreisen wird das Volumen der Nachforderung über die Branche hinweg jedenfalls auf bis zu eine Mrd. Euro geschätzt.

Immerhin hat allein Marktführer Eon 600 Mill. Euro zurückgestellt. Ein Sprecher betonte, der Konzern müsse aber erst die schriftliche Begründung des Urteils abwarten, um prüfen zu können, ob es tatsächlich auf Eon übertragbar sei.

Konkurrent RWE will vor einer endgültigen Bewertung ebenfalls abwarten, schätzt den Fall aber ohnehin entspannter ein. Der Konzern hat nie Rückstellungen gebildet, und in Kreisen wird der strittige Mehrerlös von RWE auf höchstens 100 Mill. Euro beziffert. Finanzvorstand Rolf Pohlig sieht RWE zudem in einer guten Rechtsposition. Es sei fraglich, wie rechtsverbindlich der Vorbehalt in den Bescheiden formuliert sei, heißt es ergänzend in RWE-Kreisen.

Unklar sei auch, wie die Behörde den Mehrerlös überhaupt wieder einfordern könne. Wenn die Bundesnetzagentur die alten Bescheide korrigiere, müsste sie auch Punkte berücksichtigen, welche der Bundesgerichtshof an der bisherigen Praxis moniert hatte. Manche hatten den Unternehmen sogar höhere Zusatzerlöse zugebilligt.

Flauger, Jürgen


18. August 2008